Robert Klein
Eigentlich waren meine Religionslehrer in der Oberstufe schuld: Wahrscheinlich wollten sie uns jungen Sinnsuchern mit Themen wie „Atheismus und Christentum“ eine coole Abwechslung bieten, aber sobald das Zweifeln auch vom Lehrplan her zugelassen war, gab es kein Halten mehr. Statt mich im Glauben zu stärken, hat man mir die Lektüre des Buches Jesus für Atheisten von Milan Machovec( (von 1953 bis 1970 Philosophieprofessor an der Karls-Universität in Prag) empfohlen. Und das war gut so! Mein Deutschlehrer und mein Geschichtslehrer, beide großartige Pädagogen und Freigeister, haben mich ebenfalls mit dem „Geist der Aufklärung“ infiziert. Außerdem habe ich im Lateinunterricht auf dem Weg zum Großen Latinum nicht nur das Übersetzen und Interpretieren, sondern auch schon ein Stück weit das Philosophieren einüben können.
Wie ich dazu kam, Philosophie zu studieren
Eigentlich waren Herr Backes (ein ehemaliger Lehrer), Bertrand Russell und meine Freundin schuld.
Und das kam so: Seit meinem 16. oder 17. Lebensjahr wusste ich, dass ich Lehrer werden wollte. Zunächst hatte ich begonnen, Germanistik und Katholische Theologie zu studieren. Die Germanistik habe ich dann auch mit Begeisterung bis zur Zwischenprüfung durchgehalten, in der Theologie war ich jedoch bald frustriert. Diejenigen Professoren, die mir am meisten imponierten, waren als Kritiker der „Amtskirche“ kurz davor ihre „venia legendi“ zu verlieren und sind dann im Laufe der Jahre auch tatsächlich zu anderen Lehrstühlen gewechselt bzw. „gewechselt worden“ (Religionswissenschaft, Religionssoziologie usw.). Unterdessen wurden am Gymnasium die Fächer „Philosophie“ und „Allgemeine Ethik“ eingeführt, die meine Freundin (heute meine Frau) bei Herrn Alfons Backes an unserer Schule kennen lernte und wo u.a. Die Probleme der Philosophie von Bertrand Russell gelesen wurde . . .
Dazu kam, dass ich in einem germanistischen Proseminar („Psycholinguistik“) begann, mich auch mit Sprachphilosophie zu beschäftigen. Da zu der Zeit ein hervorragender Experte für Sprachphilosophie als Professor nach Saarbrücken kam, wurde mir klar, dass ich unbedingt Philosophie studieren wollte und musste. Den größten Teil meines Philosophiestudiums habe ich dann bei Herrn Professor Dr. Kuno Lorenz absolviert und bei ihm auch meine Staatsexamensarbeit geschrieben.
Was ich unter Philosophie verstehe
„Wer philosophiert, redet, und wer redet, handelt. Aber weiß er auch, was er tut, kann er antworten auf die Fragen, >was hast du gesagt?< und >warum hast du es gesagt?<, darf er überhaupt hoffen, dass ihm jemand zuhört, oder soll es ihm gleichgültig sein, ob andere etwas von ihm erwarten?“
So heißt es bei Kuno Lorenz in der Einleitung zu seinem 1970 im Suhrkamp Verlag erschienenen Werk „Elemente der Sprachkritik. Eine Alternative zum Dogmatismus und Skeptizismus in der Analytischen Philosophie“ (S. 13).
Philosophieren ist demnach eine besondere Art des Redens und Handelns:
- es funktioniert nur im Dialog
- es ist auf ein gleichgesinntes (wohlwollendes?) Gegenüber angewiesen
- es versucht stets verständlich zu sein
- es fragt nach den Gründen und Hintergründen für das, was gesagt wird und wie es gesagt wird
- es thematisiert dieses Aufeinander-Angewiesen-Sein und die Regeln für Verständlichkeit und Vernünftigkeit
- es fordert diese Verständlichkeit und Vernünftigkeit nicht nur von sich selbst, sondern auch von anderen (von anderen Wissenschaften, von den Politikern, usw.)
Dabei redet man natürlich nicht „im luftleeren Raum“, sondern immer mit Hilfe und auf der Grundlage von dem, was man schon kann, was man schon weiß, was man von anderen übernommen hat. Man trägt also ständig einen festen Bestand von Werkzeugen, „Handlungsmitteln“, schlauen oder dummen Redeweisen und Meinungen zum Beispiel, mit sich herum.
In diesem „Rucksack“, ohne den man sich ja gar nicht auf den Weg machen könnte (zum selbständigen Denken, zu Wissen und Erkenntnis, zu sich selbst, zum Glück, …), befinden sich leider außer den lebensnotwendigen Sachen auch viele weniger nützliche, belastende, sogar schädliche. Teilweise hat man die wohl selbst eingepackt, teilweise wurden sie einem aufgeschwatzt oder einfach hineingeschmuggelt.
Wer dann nicht blind drauf los laufen will, wer nicht irgend einer dahergelaufenen Spaßtruppe hinterher rennen will, der kommt um einige ernsthafte Fragen nicht herum:
Wollen und sollen wir diesen Unrat in unserem Rucksack bis zum Gipfel mit uns herumschleppen?
Wie finden wir heraus, was wirklich wichtig ist für unsere Wanderung?
Was lenkt uns nur ab vom Weg, was bringt uns weiter?
Wer sollen unsere Ratgeber beim Entrümpeln unseres Rucksackes sein?
Wohin soll die Reise überhaupt gehen?
Wen können wir getrost nach dem Weg fragen?
Welche Reiseführer aus der guten alten Zeit taugen heute noch etwas?
Haben wir „die alten Reiseführer“ überhaupt richtig gelesen und verstanden?
Woran erkennt man die wahren Weggefährten?
Wie weit können wir, wie weit müssen wir uns auf uns selbst verlassen?
Lohnt sich der Weg überhaupt?
Ist der Weg selbst nur Mühe?
. . .
Solche und ähnliche Fragen zu stellen
und gemeinsam nach den lohnenswerten Zielen
und den richtigen Wegen dorthin zu suchen,
ohne sich selbst und den Weggefährten etwas vorzumachen,
ist meine Idee von P h i l o s o p h i e .
Was mir im Philosophie-Unterricht am Herzen liegt:
„Der Mensch muss sprechen und denken lernen!
Von der Sprache zur Vernunft!“
(R.P.K.)
und
„Der Mensch muss leben und sterben lernen!“
(Albert Camus)