Von sprachlichen Aussetzern, Schneetagen und 10 Monaten in einem Land voller „High School Spirit“ und Fast Food
von Maike Müller
„What’s up? How’s it going?“ schallt es mir von allen Seiten entgegen, während ich mir morgens in der Schule meinen Weg zu meinem Schließfach bahne. Schüler sitzen an Lunchtischen, essen Frühstück und sind ununterbrochen am SMS schreiben. Sobald der Gong für die erste Unterrichtsstunde läutet, stürmen alle zu den Klassenräumen ihrer ersten Stunde, die jeweils einem der Lehrer gehören und von ihnen eingerichtet wurden, wie sie es möchten. Sportplakate, Fotos von Schülern und Familienmitgliedern des Lehrers und einige Computer sind in der Regel immer zu finden. Kurze Zeit nachdem der Unterricht anfängt wird die „Pledge of Allegiance“ gesagt – ein Treueschwur auf die Flagge des Landes. Die Unterrichtsstunden sind jeden Tag die gleichen und finden in derselben Reihenfolge statt. Nach vier oder fünf Stunden gibt es täglich warmes Schulmittagessen, meistens Burger, Pommes, Pizza oder anderes Fastfood. Danach geht der Unterricht für drei oder vier Stunden weiter, im Anschluss hat man noch kurz Homeroom, in welchem man in der Regel liest oder andere Aufgaben zur Förderung der Persönlichkeit im Klassenverband löst. Um 3:22 Uhr endet der Unterricht jeden Tag. Meistens hat man dann Training, je nach Jahreszeit Football, Volleyball, Basketball, Turnen, Softball, Baseball oder Leichtathletik, was täglich wieder rund zwei bis drei Stunden beansprucht. Gegen Abend gibt es meist Spiele, zu denen fast jeder Schüler erscheint. Man kleidet sich in den Farben der Schule und hat meistens ein Publikum, das sich die meisten Regionalligamannschaften in Deutschland nur wünschen könnten. Wochenenden oder spiel- und trainingsfreie Tage verbringen die meisten Jugendlichen damit zu arbeiten oder mit ihren Freunden rumzuhängen – Shopping, Kino und Bowling sind sehr beliebt.
Warum ist alles auf einmal so anders als in Deutschland? Was hat dazu geführt, dass ich in so einer Schule sitze, die so verschieden von der ist, die ich in Deutschland sechs Jahre lang besucht habe?
Die Antwort ist, dass ich Austauschschülerin bin, Austauschschülerin in einer High School in den USA. Ich verbringe 10 Monate in einer Gastfamilie in einem kleinen Ort in Wisconsin im nördlichen Teil des Landes. Ich führe ein völlig anderes Leben als das, das ich in Deutschland hatte, in einer völlig anderen Familie, mit anderen Menschen, anderen Lebenseinstellungen und vor allem anderem Essen. Zum Essen gibt es meist Fast Food und anderes ungesundes Zeug, richtiges Vollkornbrot habe ich seit meinem Abflug nicht mehr gesehen. Mittagessen bei Subway und McDonalds wird zur Gewohnheit und ein Tütensalat mit fettigem Fertigdressing wird als gesund bezeichnet.
Schule ist der Mittelpunkt des Lebens eines Jugendlichen: Freunde, Sport und Alltag spielen sich zu großen Teilen dort ab. Sowohl in der Schule als auch in der Freizeit werden meist Schuljogginghosen, Schul-T-Shirts und Schulpullover getragen. Überhaupt laufen die meisten Leute hier in der Schule so rum, wie sich in Deutschland fast keiner zeigen würde: mit Jogginghosen und übergroßen Kapuzenpullis, dazu meist Hausschlappen oder auch Flip-Flops. Kleidung die bauchfrei ist, zu kurze Shorts und Tops, deren Träger nicht mehrere Zentimeter breit sind, sind nicht erlaubt und führen zu Nachsitzen. Selbst im tiefsten Winter laufen einige, zu denen ich mich inzwischen auch schon zähle, immer noch in Shorts durch die Gegend. Da man sowieso nicht viel Zeit draußen verbringt und immer mit dem Auto fährt, stört die Kälte, trotz den –20 ° C, die hier keine Seltenheit sind, kaum. Schnee und Kälte sind in Wisconsin im Winter normal und führen dazu, dass Schüler einige schulfreie Tage haben, entweder wenn zu viel Schnee für die Schulbusse liegt oder wenn es draußen mit rund – 40 ° C zu kalt ist um die Busse zu starten.
Warum mache ich das? Warum gehe ich ans andere Ende der Welt in einen kleinen Ort, in dem ich nicht einmal das Wetter mag, und lasse meine Freunde, Familie und alle Gewohnheiten hinter mir? Und wie bin ich eigentlich auf so eine verrückte Idee gekommen?
Seit ich denken kann, wollte ich die Welt kennen lernen und für eine Weile woanders leben. Als ich in der Mittelstufe war, hörte ich immer wieder von Leuten, die während ihrer Schulzeit für eine Weile ins Ausland gegangen sind. In der 9. Klasse habe ich dann schließlich ab und zu Rundmails eines Freundes bekommen, der für 5 Monate in Florida war und zu der Zeit wurde mir klar, dass das genau das ist, was ich machen möchte: selber Austauschschülerin werden und ein fremdes Land mit seinen Menschen, Einstellungen und Lebensweisen kennen lernen. Zuerst wollte ich kein ganzes Schuljahr weggehen, aber nach einer Weile wurde mir klar, dass ich die Möglichkeit, so gut Teil eines fremden Landes zu werden, wohl nie wieder haben würde und ich die Sprache eines fremden Landes nie wieder so leicht erlernen könnte. Ich beschloss, auch wegen finanzieller Gründe (für 10 Monate ist es möglich Stipendien zu bekommen, bei 5 Monaten ist es fast unmöglich), ein ganzes Schuljahr zu gehen, und ich beschloss in die USA zu gehen, weil ich mir meine eigene Meinung über dieses Land bilden wollte.Ich muss sagen, dass es wohl die beste Entscheidung war, die ich je machen konnte. Ich merke, wie sehr ich mich weiterentwickelt habe, wie sehr ich gemerkt habe, dass Deutschland so viel besser ist, als ich immer dachte und wie viel mir doch meine Freunde und Familie in Deutschland bedeuten. Ich merke, wie sehr ich hier erwachsen werde und mich selber wieder finde. Ungefähr die Hälfte meines Aufenthalts hier sind jetzt vorbei und ich habe noch nie so viel über mich selber in so einer kurzen Zeit gelernt. Obwohl ich mich schon unglaublich auf Deutschland freue und es kaum erwarten kann, wieder nach Hause zu kommen, merke ich doch, dass ich hier ein zweites zu Hause bekomme und eine wundervolle Zeit habe – vielleicht nicht die beste, die ich bisher hatte, aber doch die für mich wichtigste.
Ich kann jedem, der mit dem Gedanken gespielt hat, ein Austauschjahr zu machen nur dazu raten, es lohnt sich und ist in den meisten Fällen eine Entscheidung, die man nicht bereut. Es bedeutet ein Jahr voller Emotionen, voller Hochs und Tiefs und Erfahrungen, die man in der Art und Weise nie mehr machen kann.
In der Regel macht man ein Austauschjahr nach der 9. bzw. 10. Klasse, je nach Alter und persönlicher Entscheidung. Zwar muss man durch G8 das Jahr in manchen Fällen in Deutschland wiederholen, aber trotzdem lohnt es sich! Obwohl die USA das beliebteste Land für Austauschschüler sind, kann man trotzdem andere Länder entdecken, von Asien über Europa, Süd- und Nordamerika, Ozeanien bis hin zu Afrika ist alles dabei!
Alle, die Fragen haben oder gerne mehr wissen möchten, können sich bei mir per E-Mail melden: maikeem@aol.com
Falls jemand Interesse an einem Austauschjahr hat, hier sind einige hilfreiche Links:
www.yfu.de
www.afs.de
www.bundestag.de/internat/internat_austausch/ppp/index.html
www.austauschjahr.de